Krahl-Briefe > Diskussion mit Adorno 1967

"Es geht ja nicht nur um Diskussion, sondern um politisch wirksame Diskussion"

Hans-Jürgen Krahl in einer Diskussion mit Theodor W. Adorno, Udo Riechmann und anderen am 5. Dezember 1967

Kommentar zur Diskussion

Editorische Vorbemerkung der Redaktion: Dieser Text folgt dem erstmals 2000 in den Frankfurter Adorno-Blättern abgedruckten Tonbandmitschrift, die von den bisherigen Versionen abweicht. Bis dahin war die Diskussion bereits mehrfach unautorisiert abgedruckt worden, ebenfalls als Tonbandmitschrift, aber zum Teil gekürzt und paraphrasierend. Dies trifft in kleinen Teilen auch auf die Beiträge Krahls zur Diskussion zu, wie an den ergänzenden Endnoten zu sehen ist, die wir diesem Text beigegeben haben. Da uns das Tonband nicht vorliegt halten wir dies für die sinnvollste Variante der Edition der Beiträge von Krahl zu dieser interessanten Diskussion, die sicherlich am 5. Dezember 1967 vor allem anlässlich der Antworten Adornos auf die Fragen der F.A.Z. (siehe Kommentar) stattgefunden hat. Laut der Chronik des dreibändigen Werkes zur Studentenbewegung von Wolfgang Kraushaar hat es auch eine Woche vorher in derselben Vorlesung Adornos eine Diskussion über das Go-In gegeben, der wiederum im Dokumentenband des Werkes die vorliegende Diskussion zugeordnet wird. Gleichzeitig spricht Kraushaar in der Chronik davon, dass es auch am 5. Dezember eine Diskussion, nun aber über die Thesen gegeben habe. Klar ist: Die vorliegende Diskussion ist die über die Thesen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es eine Woche vorher noch eine zweite gegeben hat, da eine solche wie Adornos Stellungnahme zum Kurras-Freispruch am 23. November und die vorliegende Diskussion am 5. Dezember wahrscheinlich ebenfalls dokumentiert worden wäre, denn die Vorlesungen wurden mitgeschnitten und auf dieser Basis entstand ein Band mit den Vorlesungen zu Ästhetik, in dem die Diskussion erstmals abgedruckt war. Außerdem wird auch hier das Thema der Legalität von Aktionen wie dem Go-In besprochen, Krahl spricht das auch explizit an. Letztlich können wir aber nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob es noch eine zweite Diskussion gegeben hat.

Krahl: Ich meine, vielleicht sollte man doch noch mal auf diese Fragen und Antworten, die der F.A.Z. gegeben sind, zurückkommen.

Adorno: Herr Krahl, ich habe ...

Krahl: Wir haben ..., der AStA und SDS hat gestern die Professoren, die dort teils zustimmend, teils ablehnend geantwortet haben, gebeten, darüber zu diskutieren, weil zum ersten Mal ein Ansatz war, diese Aktionen, die die Studentenbewegung unternimmt, nicht nur als eine Art schlechtes Benehmen zu diffamieren, sondern auf so etwas wie den theoretischen Anspruch, der dahinter steht, zu reflektieren, der in den öffentlichen Massenmedien ja immer verschwiegen wird. Und ich glaube aber auf der anderen Seite, dass auch in der F.A.Z. dieser theoretische Anspruch, der dahinter stand, verkürzt wiedergegeben ist; der lässt sich eben nicht auf die Formel bringen, dass man das Spezialistentum an der Universität durchbrechen will. Und der SDS hatte zu diesem Go-In, nachdem er sich gegenüber diesem Faschismusvorwurf, der erhoben wurde (1), rechtfertigen musste, drei Thesen aufgestellt. Zum Ersten, dass dieses Go-In dazu dienen sollte, die an unserer heutigen Universität etablierte Trennung von Wissenschaft und Politik zu durchbrechen; dass also die Politik in unverbindliche Veranstaltungen, Feierabendveranstaltungen gleichsam, verbannt wird und der Entpolitisierungsprozess der Wissenschaften, die unpolitische Vernunft der Wissenschaften, dadurch weiterhin etabliert wird. Von daher sind wir auch der Meinung gewesen, dass diese Politisierung der Wissenschaft -- und ich glaube, das haben die Verhaltensweisen der Institutionen zuletzt, im letzten Jahr, in Berlin praktisch gezeigt --, dass dieser Politisierungsprozess erkämpft werden muss, dass aber die Institutionen, dass die etablierten Universitäten und die Institutionsstruktur der Universität eine immanente Reform nicht erlauben. Von daher würde ich übrigens auch meinen, dass also, wenn Sie die Professoren erwähnen, die durchaus gutwillig sind, - dass es nicht vom guten Willen der Professoren abhängt. Dass es schließlich doch von der Verfassung der Institution abhängt, ob sie es erlaubt, dass den Studenten eine Mitbestimmung, und eine paritätische Mitbestimmung, wie sie gefordert wird, zugestanden wird. Das Zweite ist -- und damit haben wir vor allen Dingen unser Vorgehen, unser politisches Vorgehen gerechtfertigt ... Man hat uns vorgeworfen, wir würden die Grenzen von Liberalität, Toleranz durchbrechen, indem wir einfach in eine Vorlesung eindringen. Und daraufhin haben wir zwei Thesen aufgestellt: es sollten einmal die liberalen Vernunftprinzipien, die doch -- das kann man ja in der Vorlesung über Philosophie durchaus wahrscheinlich auf dieser philosophischen Ebene abhandeln ...; dass die liberalen Vernunftpinzipien, die einstmals Regeln der praktischen Vernunft waren, wenn sie in Handlungsanweisungen übersetzt wurden, heute zu bloß technischen Regeln geworden sind. Das heißt, dass sie analytisch völlig formalisiert worden sind. Das praktischste Beispiel, das man dazu immer wieder erwähnen kann: wenn Bombenabwürfe auf Hanoi als Aktion zum Frieden, als Befriedungsaktion ausgegeben werden. Das Zweite wäre, dass also umgekehrt die Administrationen eine gewaltlose Demonstration in Terrormaßnahmen umfunktionieren müssen. So wie damals in Berlin aus der Aktion der Kommune, die mit Schlagsahne gegen den Vizepräsidenten vorgehen wollte, eine Bombe wurde (2), so wurde aus einem Friedensprozess -- wenn er also einer gewesen ist, was der SDS bestreitet -- so wurde daraus die Einübung faschistischer Terrormethoden. Und das solche ideologischen Mechanismen dazu dienen, die politische Opposition an der Hochschule -- und die hat nicht zuletzt in der Bundesrepublik ihren zentralen Ort an der Hochschule -- auf verwaltungstchnischem Wege zu liquidieren, - und das hat ja dieses Verbot des SDS schließlich gezeigt. (3)

Krahl: Ja, ich möchte aber doch in zwei Dingen [Adorno] widersprechen. Ich glaube, das ist das Entscheidende: es geht ja nicht nur um Diskussion, sondern um politisch wirksame Diskussion. Also nicht nur, dass im Rahmen der Diskussion diese zur Rechtfertigung herabgesetzt wird. Und damit würde ich zunächst meinen: Sie glauben, dass die Spielregeln heute immer noch eine bestimmte Rechtssicherheit gewähren. Und dass diese Verweigerung den Spielregeln gegenüber die Gefahr einer faschistischen Massenbewegung in den Metropolen des Spätkapitalismus nur möglich ist unter Bedingungen, wie sie zum Beispiel heute in Amerika herrschen; dass also ein Land, ein imperialistisches Land wie Amerika sich mit brutaler Gewalt in der Dritten Welt engagiert und dass dieser Prozess brutalisierend auf das Land zurückschlägt. In Amerika besteht in der Tat die Gefahr faschistischer Gegenbewegungen, und ich glaube, man kann auch historisch sehr gut feststellen, wie diese Gefahr seit dem Goldwater-Faschismus mit dem wachsenden Engagement der Amerikaner in Vietnam gestiegen ist. Ich würde sagen, dass für Länder, die nicht derart konterrevolutionär engagiert sind in der Dritten Welt diese Gefahr einer faschistischen Gegenbewegung nicht besteht. Dass die NPD (4) heute in der Tat eine mehr oder weniger bedeutungslose Randgruppe ist ...

Student: ... wie die CSU!

Krahl: ... dass sich vielmehr -- und darum glaube ich, dass man die Spielregeln immanent nicht benutzen kann -, dass sich vielmehr der Faschisierungsprozess, nicht ein bloßer Restaurationsprozess, der Faschisierungsprozess im Zentrum des parlamentarischen Systems selbst vollzieht. Dass das Parlament nicht mehr der politische Markt konkurrierender Parteien ist, wie es in der klassischen Zeit der Bourgeoisie der Fall war, sondern dass das Parlament selbst von der Exekutive zu einem Manipulations- und Verschleierungsinstrument herabgesetzt wird, das die Massen nicht aufklärt, sondern im Gegenteil sie bloß schichtenspezifisch von den einzelnen Parteien her manipulativ dem immanenten Abbau der Demokratie gefügig machen will. Und es ist nicht zufällig, dass der Wahlkampf zum Beispiel auf das Niveau von Waschmittelreklame herabgekommen ist. Ich würde also von daher sagen, dass der Faschisierungsprozess heute im Zentrum des parlamentarischen Systems (5) selbst angelegt ist. - Wenn man die Spielregeln immanent nützen kann, dann würde ich gern wissen, wo, an welcher Stelle in unserer Gesellschaft und an welcher Institution es die Möglichkeit zur Reform noch gibt. Ich glaube, dass sich diese Möglichkeit zur Reform immer mehr verunmöglicht.

Endnoten

  1. Nach dem Aufruf des SDS zum Go-In bei Carlo Schmid warnte Rektor Rüegg vor der Aktion und nannte sie eine "faschistische Terrormethode" (siehe Kommentar).
  2. An dieser Stelle ist es auffällig, dass Krahls konkreter Bezug zu einer Aktion des Berliner SDS von den Editoren der ursprünglichen Mitschrift einfach weggelassen wurde. Während sie ansonsten in Krahls Argumentation nur straffend und einige nebensächliche Einschübe weglassend eingegriffen wurde, ist es interessant, das ausgerechnet dieser Punkt bearbeitet wurde. Der Grund dafür ist unbekannt.
  3. Nach der Aktion in der Vorlesung von Carlo Schmid wurde dem SDS am 23. November 1967 vom Rektor die Zulassung als Hochschulgruppe vorübergehend entzogen.
  4. In der früheren Edition steht statt "NPD" das Kürzel "EWG", wobei es sich nur um einen Fehler handeln kann.
  5. Früher: statt "parlamentarischen Systems" stand hier: "Paragraphensystems"